27.01.2019
05.01.2019
Als sie 2014 an die Schule kam, steckte das Projekt "Praxisberater" noch in den Kinderschuhen. Aufgelegt wurde es von Kultusministerium und Agentur für
Arbeit mit dem Ziel, Schüler so früh wie möglich auf der Suche nach einem Beruf zu begleiten, der zu ihnen passt. Ende vergangenen Jahres sind in Sachsen
erstmals die besten Praxisberater ausgezeichnet worden. Bewertet wurden Kriterien wie Engagement und Fachwissen. Kathleen Riedel schaffte es auf Anhieb auf
Platz 2.
Mit wenigen Schülern begonnen, betreut sie inzwischen in diesem Schuljahr 112 Jugendliche der 7.und 8. Klassen. Dabei arbeitet sie eng mit den Klassenleitern
zusammen, unterstützt die Berufsberater, organisiert Betriebsexkursionen und beantwortet Fragen der Eltern rund ums Thema Berufsorientierung. Sie knüpft
Kontakte mit Kooperationspartnern wie dem Energieversorger Eins, der Handwerkskammer oder der Kaufland-Handelskette. Dort erhalten die Schüler einen
Einblick in die Betriebe. Beschäftigt sind die Praxisberater über Bildungsträger, wie im Fall von Kathleen Riedel über das Solaris-Förderzentrum.
In der ersten Hälfte des Schuljahres steht in Klasse 7 eine Potenzialanalyse an. Mithilfe verschiedener Aufgaben werden die Interessen und Stärken der
Schüler ermittelt. Gruppenarbeiten geben Aufschluss über Team- und Kritikfähigkeit sowie Zuverlässigkeit, schildert Riedel und nennt ein Beispiel, bei dem
die Schüler Einfallsreichtum unter Beweis stellen sollen. Sie werden aufgefordert, eine Fallmaschine zu entwerfen, mit der ein rohes Ei den Sturz aus etwa
zwei Metern Höhe unversehrt übersteht. Mithilfe solcher Aufgaben sollen in erster Linie die Schüler selbst erkennen, wo ihre Talente liegen. Auf dieser
Grundlage werde ein Entwicklungsplan erstellt. "Im ersten Halbjahr der Klassenstufe 8 können die Schüler innerhalb von 14 Tagen in Betriebe gehen und einen
ersten Einblick in die Berufswelt erhalten", so Riedel. Das sei zugleich eine Gelegenheit, nach einem möglichen Praktikumsplatz zu suchen. Zum Ende der 8.
Klasse sollen die Schüler ihre Interessen auf zwei bis drei Berufsfelder beschränken können.
Von den Eltern komme positives Feedback, und auch für die Schüler sei es angenehm, wenn es im Schulalltag einmal nur um ihre Stärken geht, sagt Ramona Adam,
die Leiterin der Josephinenschule. "Durch die Analyse von Frau Riedel können auch Berufe angesprochen werden, die bisher vielleicht selbst für die Eltern
unbekannt waren", so Adam. Die Auswahl bei Praktika sei mittlerweile gezielter möglich. Das Spektrum erstrecke sich von naturwissenschaftlich-technischen
über soziale bis hin zu kreativen Berufen. Der Berufswahlpass, mit dem Schüler und Betreuer gemeinsam ab der 7. Klasse arbeiten und in dem sämtliches
Material rund um die Berufsorientierung gesammelt wird, werde bis zur Klasse 10 auch in den Lehrplan integriert.
Dass das Projekt so gut funktioniert, sei, so Adam, keine Selbstverständlichkeit: "Für eine gute Zusammenarbeit müssen die Schulen gegenüber den
Praxisberatern vieles offenlegen." Nicht nur am Unterricht, sondern auch an Elternabenden nehme Kathleen Riedel teil. Dafür sei ein hohes Maß an Vertrauen,
sowohl seitens der Schule als auch seitens der Eltern, unerlässlich.
Die Jugendlichen zu motivieren, sich mit dem Thema Berufsorientierung auch in der Freizeit auseinanderzusetzen, sei nicht immer leicht, sagt Riedel. "Am
schönsten ist es, wenn ich sehe, dass ein Schüler mit meiner Hilfe seinen Weg gefunden hat." Einer davon ist Erik Aminde. Er besucht die zehnte Klasse an
der Josephinenschule. Als er mit Beginn der 7. Klasse an die Schule wechselte, hatte er schon einen groben Plan, wo es beruflich einmal hingehen könnte -
eine Ausbildung als Industriekaufmann schwebte ihm vor. Er habe an Betriebsexkursionen teilgenommen und in der 9. Klasse sein Praktikum bei Eins Energie
absolviert.
Erik Amindes Familie ist erst vor vier Jahren von Bayern nach Chemnitz gezogen. Vater Sascha Aminde ist von den Angeboten der Berufsorientierung positiv
überrascht gewesen, wie er sagt. "Hier in Sachsen muss keiner sagen, dass sich um sein Kind nicht gekümmert wurde." Sein Sohn habe die Möglichkeit bekommen,
Bildungsmessen zu besuchen und einen Einblick in große Betriebe wie VW zu erhalten, um seinen Berufswunsch zu festigen. Die Praxisberaterin habe bei den
Bewerbungsschreiben für Praktika unterstützt und geschaut, wo es freie Stellen gibt, berichtet der 16-jährige Erik Aminde. Nach der 10. Klasse möchte er
eine duale Ausbildung beginnen.
Gern würde sie, so Riedel, noch individueller arbeiten, als es die große Schülerzahl momentan zulasse. Aus einer vom Kultusministerium in Auftrag gegebenen
Studie der TU Chemnitz geht hervor, dass das Projekt bisher besonders an kleineren Schulen (bis 230 Schüler) Erfolge zeigt. An größeren Schulen (351 bis
500 Kinder) dagegen wäre es angebracht, zwei Praxisberater einzusetzen, um den Aufgaben gerecht werden zu können, so Riedel.
Laut Kultusministerium sind derzeit in Sachsen 160 Praxisberater an 150 Oberschulen beschäftigt. Künftig sei ein schrittweiser Ausbau des Projekts geplant.
Freie Presse am 05.01. 2019 von Nadine Müller, Foto: Toni Söll